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© Holger Kames 2002, Letzte Aktualisierung: 10.04.2002

 Der Eisenbahnfan Holger Kames

4. Kapitel - Selbst Laufen lernen (III)

Nun sollte es also losgehen im Fahrdienst... Doch erst einmal hieß es, sich in der Einsatzstelle Staßfurt zu melden, den Lauftag zu absolvieren, einen Spind zugeteilt zu bekommen und Arbeitsanzüge, eine Tasche und Werkzeug in Empfang zu nehmen. Auf die Lok ging es dann doch noch nicht, sondern für ein paar Tage zu Helmut Paternoga auf den Dampfspender, die ehemalige 01 024. Dort sollte ich erst einmal lernen, wie man die Schippe führt und Wasser in den Kessel pumpt. Was da als Brennstoff auf dem Tender lag, hatte mit Lokomotivkohle lediglich entfernte Ähnlichkeit. Später stellte ich fest, daß in dieser Art Rohbraunkohle kleine Walnußbäume ganz hervorragend gediehen. Unser "Dampfbadeofen" war an einen hohen Schornstein angeschlossen. Durch den guten und gleichmäßigen Zug dieses Schlotes und wegen der nur moderaten Dampfentnahme konnte man trotz der "Blumenerde" in der Feuerkiste den Kessel auf Spitzendruck halten. Das heißt, Helmut konnte das! Ich scheiterte zunächst an einer ganz profanen Sache: Von klein auf war ich gewöhnt, die Schaufel von links nach rechts zu führen. Die ersten Umgewöhnungsversuche, von rechts nach links zu schippen, endeten meist scheppernd an den Luftkanälen neben der Marcotti-Kipptür. Nun gut, auf dem Dampfspender hätte ich zum Beschicken des Feuers ja auch auf die rechte Seite des Führerhauses gehen können. Aber dann hätte ich es auf der "richtigen" Lok nur schwerer gehabt. So biß ich die Zähne zusammen und versuchte mein Bestes. Helmut Paternoga, der seine Tabakspfeife an seinem uralten Koppelschloß (da stand noch "Gott mit uns" drauf) auszuklopfen pflegte, war mir ein sehr freundlicher und geduldiger Lehrmeister und gab mir erste Tips. Bald schaffte ich es auch, dem Kessel Dämpfe zu entlocken und die Strahlpumpe in Gang zu setzen ("Wenn sie läuft, dann dreh´die Spindel ein Stückchen zurück. Das spart Dampf.").

Dann wurde ich Lokführer Herbert Hein ("Onkel Lu") und Heizer Henry Schmidtke ("Ich mach´ sogar mit Rauchkammerlösche Dampf.") als dritter Mann zur Heizerausbildung zugeteilt. Unsere Planlok war die 41 1159. Meine beiden Lehrmeister waren nicht nur exzellente Könner ihres Faches, sondern es saß ihnen auch gehörig der Schalk im Nacken. "Auf so´ner Dampflok haste allen Komfort. Dein´ Tee stellste am Kessel warm, deine Brause kühlste im Tender, und deine Wurscht brätste off der Strahlpumpe" waren meine allerersten Instruktionen. Natürlich folgten dann die Hinweise auf die Gefahren, und daß sich einer beim anderen vor Verlassen der Lok mit Angabe des Aufenthaltsortes abzumelden hat. Warum das? Man stelle sich vor, der Heizer betätigt den Abschlammer, weil der Lokführer ihn nicht vom Kontrollgang unter der Lok verständigt hat. Oder: Der Heizer ölt ohne Wissen des Lokführers das Gewerk ab, und dieser verletzt ihn durch Betätigen der Steuerung. Ich lernte also recht schnell, daß jedes Ge- oder Verbot bei der Eisenbahn seinen ganz plausiblen Grund hat. Am ersten Tag - es ging mit einem Personenzug von Güsten über Köthen und Dessau nach Wittenberg - sollte ich erst mal nur zuschauen und die neue Athmosphäre auf mich einwirken lassen. Ich konnte es noch gar nicht fassen, endlich war ich auf der Dampflok!

Bei der Personenzug-Tour nach Wittenberg gab es meistens irgendwelche heiteren Begebenheiten: In Köthen hatten wir fast eine halbe Stunde Aufenthalt. Da es an einer Dampflok eigentlich stets etwas zu putzen, zu reparieren oder zu ölen gibt, wurde diese Zeit zum Abdichten diverser Stopfbuchsen und Hähne verwendet. Wir waren rechtzeitig fertig und sollten abfahren. Da machte sich bei mir plötzlich ein "dringendes menschliches Bedürfnis" bemerkbar. Was tun? "Da gehste hinter in´n Zug auf Toilette und kommst auf der nächsten Station wieder vor" riet Henry. Gesagt, getan. Ich hatte also meine "Sitzung" beendet und die Toilette gerade wieder verlassen. Ich ordnete noch meine Dampf-Kluft und rückte die Ledermütze auf dem Kopf zurecht, als ich hinter mir ein deutliches "die Fahrkarte bitte" vernahm, was ganz unzweifelhaft meiner Person galt. Offenbar durfte da ein Lehrling seine allererste Fahrkartenkontrolle selbständig und ohne Lehrfacharbeiter durchführen und nahm das auch sehr genau. Ich war völlig perplex, da man mir ja eigentlich die Zugehörigkeit zum Lokpersonal hätte ansehen müssen. Ich stammelte also, daß ich doch auf die Lok gehöre und gleich wieder vor müsse und... Aber das dienstbeflissene Mädel meinte, daß doch die Lok ohne Heizer nicht fahren könne. Sie bohrte dann weiter, wieso wir denn jetzt fahren, wenn ich doch angeblich auf die Lok gehöre. Irgendwie sei es unlogisch, der Heizer befindet sich im Zug und es dampft und raucht und der Zug fährt trotzdem...! Es bedurfte meiner ganzen Überredungskraft, sie von meiner eigentlichen Aufgabe zu überzeugen. Dennoch kam sie in Dessau nach vorn an die Lok, um sich persönlich von der Wahrheit meiner Ausführungen zu überzeugen.

Bei einer weiteren Wittenberg-Tour gab es auf der Rückfahrt kurz vor Roßlau erst einmal eine Zwangspause: Schienenbruch! Damals war ich noch Raucher und wollte den Aufenthalt als Zigarettenpause nutzen. Aber Pech; meine Streichhölzer waren alle, und meine beiden Lehrmeister waren Nichtraucher. Nun hätte ich mir ja mit der Schaufel etwas Glut aus der Feuerkiste holen können, aber das erschien mir zu umständlich. Außerdem fiel mir da eine Geschichte ein, die ich einige Jahre zuvor im Buch "Schiene, Dampf und Kamera" gelesen hatte. Da hatte angeblich ein Heizer seine Streichholzschachtel in einen Eimer mit Wasser fallen lassen und konnte das Feuer seiner kohlenstaubgefeuerten Lok nach einem längeren Aufenthalt - ebenfalls wegen eines Schienenbruches - nicht wieder entfachen. An die Lösung, sich Feuer von einem Reisenden des Zuges geben zu lassen, erinnerte ich mich ebenfalls. Ich meldete mich also ordnungsgemäß ab und ging in Richtung Zug. Warum wir denn nicht weiterfahren, wurde ich auch bald von einigen Reisenden gefragt, die zahlreich und ratlos aus den Fenstern schauten. Mir sei das Feuer in der Lok ausgegangen und ich bräuchte dringend Streichhölzer, erwiderte ich, Verlegenheit vortäuschend. Ein Fahrgast reichte mir beflissen seine Schachtel und - wills der Zufall - wenig später konnten wir weiterfahren. Mag sein, daß der gute Mann heute noch erzählt, wie er damals dem Zug die Weiterfahrt ermöglicht habe...

 

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