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© Holger Kames 2000, Letzte Aktualisierung: 28.05.2001

 Der Eisenbahnfan Holger Kames

4. Kapitel - Selbst Laufen lernen (I)

Trotz einer guten Portion Vertrauen in unsere Berufsausbildung war mir klar, daß das eigentliche Lernen jetzt erst anfangen würde. Die zweite Station in meinem Eisenbahnerleben hieß Bw Sangerhausen, TU-Gruppe. Von meinem Heimatort Bad Frankenhausen mußte ich nun jeden Morgen 4:25 Uhr mit dem ersten Personenzug nach Sangerhausen fahren. So lernte ich nebenbei, wie man trotz 1,87 m Körperlänge so leidlich auf den Sitzbänken der dreiachsigen Reko-Wagen schlafen konnte. Später hieß es dann von mir, zum Schlafen würde mir notfalls auch ein Hocker genügen... Nach vollbrachter Schicht kam ich dann gegen 17:30 Uhr wieder nach Hause. Viel Freizeit blieb also nicht.

Meine ehemaligen Mitlehrlinge, die in der Werkstatt des Bw Erfurt anfingen, wurden zum "Reichsbahn-Sekretär" mit der Lohngruppe "G6 op" ernannt. Ich dagegen wurde erst mal "Reichsbahn-Untersekretär" mit der Lohngruppe "G5 op", was ein monatliches Netto-Entgelt von 525,- Mark bedeutete, meinem Gerechtigkeitssinn erheblich zuwiderlief und deshalb umgehend meinen Protest hervorbrachte. Ich wurde mit der lapidaren Bemerkung des Kaderleiters abgespeist, daß das Lohngefüge im Bw Sangerhausen wegen der noch vorhandenen Dampflokomotiven anders wäre, als im Bw Erfurt und daß ich schließlich auch für die "niederen" Arbeiten an den Dampfloks herangezogen werden könne. Nach einem halben Jahr wäre dann vielleicht eine Beförderung in die nächsthöhere Lohngruppe bzw. den nächsthöheren Dienstrang möglich. Da der Kaderleiter auch sonst ein recht unangenehmer Zeitgenosse war, wurden wir natürlich gleich "Freunde". Auch sonst fühlte ich mich in Sangerhausen nicht besonders wohl, was wahrscheinlich mit daran lag, daß die Arbeiten in der Werkstatt eines Bahnbetriebswerkes doch etwas anderes sind, als die in einem Ausbesserungswerk. Gegen die Sauberkeit und die Akribie, mit welcher wir im Raw Wittenberge aufwuchsen, war das Bw Sangerhausen schlicht und einfach eine Feldschmiede. Vorschlaghammer und Brechstange waren die gängigsten Werkzeuge und manchmal fiel selbst mir als Jungfacharbeiter ein gewisser Dilettantismus bei besser bezahlten Kollegen auf. Da wurden z.B. ausgebaute Karl-Schulz-Schieber der BR 44 achtlos in den Dreck geworfen und nichtfunktionierende Düsen der V100-Spurkranzschmierung nur provisorisch zurechtgefummelt. Auch die Methode, nach welcher an manchen Dieselmotoren das Ventilspiel eingestellt wurde, hatte ich eigentlich ganz anders in Erinnerung. Das Betriebsklima war außerdem nicht besonders gut, denn der Werkmeister war ein recht cholerischer Zeit- und SED-Genosse. Unser Brigadier war zwar ein strammer Kampfgruppenbarde, ansonsten aber unauffindbar, wenn es mal kompliziert wurde. Dann noch der mansfeldische Menschenschlag, na ja...

Nach gut drei Monaten wurde ich zum Grundwehrdienst einberufen und kam somit vom Regen in die Traufe. Besonders im ersten Diensthalbjahr hatten wir es nicht leicht. Aber irgendwann platzte der Knoten und ich lernte eine ganze Menge über meine Mitmenschen und vor allem, wie ich mich durchzusetzen hatte, wenn es denn nötig war. Ich lernte aber auch menschliche Größe kennen. Mein "Spieß" sagte einmal in einer nachdenklichen Minute: "Mit den Orden ist es wie mit den Bomben. Die fallen meistens auf Unschuldige!". Auch mein Geschützführer und unmittelbarer Vorgesetzter erwies sich oft als guter Kamerad. Dank meines Schlosserberufes arbeitete ich zudem für etwa 5 Monate in der Aufarbeitungswerkstätte an der Grundinstandsetzung unserer Geschütze mit. Die dabei erworbenen ausgezeichneten Detailkenntnisse sicherten mir anschließend ein gewisses Ansehen in unserer Artilleriebatterie. Ich riskierte auch, das Ventilspiel der beiden Motoren unseres russischen Schützenpanzerwagens neu einzustellen. Das war wegen den baulichen Gegebenheiten sehr kompliziert, beseitigte aber dauerhaft die Startprobleme, die unseren Fahrer manchmal fast zur Verzweiflung trieben. Wie sich Kenner der Szene vorstellen können, war ich dann aber doch heilfroh, nach 18 Monaten in Ehren entlassen worden zu sein.

Ich konnte nun auch die Verhältnisse im Bw Sangerhausen in einem etwas anderen Lichte betrachten. Wenn jemand etwas von mir forderte, was ihm nicht zustand, gab ich die passende Antwort und hatte fortan meine Ruhe. Ich hielt mich an die erfahrenen, älteren Kollegen. Erich Wachsmuth war ein guter Pumpenschlosser und Walter Heßler war ein engagierter Gewerkschafter. Diese beiden nahmen mich gewissermaßen unter ihre Fittiche und zeigten mir manches, von dem ich heute noch zehre. So überstand ich die Zeit bis zum Beginn meines Studiums ganz leidlich. Ich hatte mich zunächst in Dresden an der Hochschule für Verkehrswesen "Friedrich List" beworben. Die dortigen Studiengänge waren jedoch schon voll bestzt, so daß ich notgedrungen mit einem Technologiestudium an der damaligen Hochschule "Otto von Guericke" in Magdeburg vorlieb nehmen mußte. Das hatte mit der Eisenbahn nun leider überhaupt nichts zu tun und forderte mich deshalb nicht gerade zu Höchstleistungen heraus. Außerdem wurde an dieser Bildungseinrichtung der allergrößte Wert auf das Studium des Marxismus-Leninismus gelegt; erst lange danach kam das eigentlich Fachliche! Da ich nie begriffen habe, wie man solchen Unsinn - auch "dialektisch-historischer Materialismus" (kurz DHM) genannt - zur Wissenschaft erheben konnte, hielten mich die damaligen "sozialistischen Leiter" des Weiterstudierens nicht für würdig; ich wurde kurzerhand "geext". Richtig unglücklich war ich darüber nicht; jetzt konnte ich doch endlich das machen, was mich wirklich interessierte: Ich wollte auf die Lok!

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