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© Holger Kames 2000, Letzte Aktualisierung: 30.01.2001

 Der Eisenbahnfan Holger Kames

3. Kapitel - In der Lehre (III)

"Herr Kames, ham´se schon ma´ ohne Kopp aus´ Fenster jekuckt?" wurde ich beim Schwatzen von unserer Klassenlehrerin Frau Kintat salopp ermahnt. Auf meine Antwort "Ich hab aber meistens mein´ Kopp!" bemerkte sie nur kopfschüttelnd, daß ich noch viel lernen müsse. Wie sehr sie doch Recht hatte... Vieles regelte Frau Kintat auf ihre ureigene humorvolle Art. Wenn wir andächtig ihren absolut fesselnden Ausführungen über deutsche Literatur lauschten, machte es sich der eine oder andere auf seinem Stuhl und dem dazugehörigen Tisch bequem. Sie unterbrach ihren Vortrag nur kurz mit den Worten "Na Herr..., liegen´se günstig?" und fuhr dann unvermittelt in ihrer Rede fort. Zuweilen fielen wir angehende Abiturienten ins tiefste Kindergartenalter zurück. Wir funktionierten in der Pause Lineale und Zeichendreiecke zu Pump-Guns und Revolvern um und spielten mit lautmalerischen Schußgeräuschen "Räuber und Gendarm". Der lange Hans-Jürgen und der kurze Hanno spielten Sanitäter und rannten mit einer Holzbrettchen-Krankentrage und mit entsprechendem "tatü, tata!" durch das Klassenzimmer. Was haben wir über die beiden gelacht! Die kopfschüttelnd in der Tür stehende Frau Kintat bemerkten wir nicht... An einem 6. Dezember erlaubten wir uns den Gag, unsere Schuhe in Reih´und Glied vor der Tür des Klassenzimmers aufzustellen. Unsere Klassenlehrerin kam eine Weile nach dem Klingeln herein und hielt sich demonstrativ mit zwei Fingern die Nase zu. Nach der Stunde staunten wir jedoch nicht schlecht, als wir in jedem Paar Schuhe kleine Süßigkeiten entdeckten! Kurz vor Weihnachten brachte sie es fertig, uns statt mit Unterricht in einem wunderschön geschmückten Klassenzimmer und mit schwarzem Tee unverhofft zu einer Weihnachtsfeier zu empfangen! Nach der Mittagspause revanchierten wir uns mit Kaffee und einem eiligst einstudierten kleinen Kulturprogramm, nachdem wir nun unsererseits das Klassenzimmer festlich ausgestaltet hatten. Irgendjemand hatte eine Schallplatte mit ihrem Lieblingssänger Warren Schatz aufgetrieben. Nun hatte Frau Kintat feuchte Augen...

Ein lustiges Kapitel unseres Lehrlingsdaseins war auch der alljährlich stattfindende "ökonomisch-kulturelle Leistungsvergleich", kurz ÖKULEI genannt. Was sich da so hochtrabend anhört, war eigentlich nichts anderes als eine riesige Lehrlingsfete im "Klubhaus der Eisenbahner" mit Sketchen, Liedern, Quizfragen und einem riesigen Buffett. Eine Truppe hat mal Männerballett vorgeführt, richtig mit rosa Tütü und so... Haben wir gelacht! Unsere Klasse hat ein Lied aufgeführt mit dem vielsagenden Titel "Leise rieselt der Putz". Zur Melodie "Leise rieselt der Schnee" haben wir uns über den baulich maroden Zustand manches Gebäudes im Raw Wittenberge mokiert.

Vieles war eben nicht "politisch gesellschaftskonform" und manche Leute haben diese kritischen Töne gar nicht gerne gehört. Unsere Frau Kintat hat uns aber nicht hineingeredet oder gar zensiert! Sie trug es ebenso mit Fassung, daß ich beim anschließenden Festessen ihr Bier vom Nachbartisch mit einer selbstgebastelten Trinkröhrchen-Pipeline ausgetrunken habe.

Zwanzig Jahre später wollte ich ein Klassentreffen arrangieren. Als ich erfuhr, daß unsere Frau Kintat nicht mehr lebt, hatte ich einen gewaltigen Kloß im Hals! Auch den anderen, mit denen ich telefonierte, ging es ähnlich. Was hatte ein Klassentreffen ohne unsere beliebte Lehrerin noch für einen Sinn? Die rechte Stimmung wäre nie aufgekommen... Ganz davon abgesehen, daß das "Klubhaus der Eisenbahner" schon lange geschlossen ist und der jetzige Werkdirektor auf meine freundliche Anfrage nach einer Werksbesichtigung gar nicht erst reagierte... Einzig unsere beiden damaligen Lehrmeister, Herr Niklaus und Herr Giese haben mich sehr freundlich aufgenommen und nach Kräften unterstützt.

Was die beiden zu unseren Lehrzeiten noch nicht wußten, war, wie wir uns die bereits erwähnte monatliche Prämie im Berufswettbewerb sicherten. Immerhin gab es ja 50,- Mark... Christiane (so hieß das einzige Mädchen unserer Klasse) und ich sollten für drei Monate in eine Meisterei, welche allgemein kurz "Blechkolonne" geheißen wurde und deren Kollegen durchaus als trinkfest galten. Gleich am ersten Tag - der Meister hatte die Werkstatt gerade verlassen - stellten wir wie selbstverständlich eine Flasche "Blauen Würger" (ein billiger Schnaps mit blaufarbenem Flaschen-Etikett) und ein paar Flaschen Cola auf den Tisch. Diese wurden - als sei es das normalste auf der Welt - in trauter Runde mit allen Kollegen geleert, wobei jeder natürlich kaum mehr als einen symbolischen Schluck abbekam. Über unsere Zensuren brauchten wir uns jedenfalls keine Sorgen mehr zu machen...

Auf dem Schrottplatz entdeckte ich manchmal alte Fabrikschilder.

Vom 182 003/004 (vermutl. ex VT 137 278a/b/c) konnte ich die unten abgebildeten Fabrikschilder bergen. Die Schrauben ließen sich so leicht lösen, als seien die Schilder erst vor kurzem angebracht worden. Die ca.1 cm dicke Farbschicht von den Schildern zu entfernen, war dann allerdings recht mühsam...

Immer wenn ich um Hammer, Schraubendreher und Meißel bat, wußte mein Lehrfacharbeiter, daß ich mal wieder ein Fabrikschild entdeckt hatte. "Kannst´ gleich meine Werkzeugkiste nehmen...", sagte er meistens. An dem unten abgebildeten Schild "Rheinmetall - Borsig 1936" wäre ich fast verzweifelt. Dessen versenkt angebrachten Schrauben waren im unzugänglichen Langträger eines 410 PS - Einheits - Triebwagens mit Muttern gesichert. Diese Muttern waren natürlich total festgerostet und drehten sich mit den Schrauben mit. Mein erster Gedanke - Ausbohren! - scheiterte am fehlenden Stromanschluß. Mein zweiter Gedanke - Ausbohren im Handbetrieb! - scheiterte an der Qualität der damals verwendeten Schrauben. So blieb mir nur noch die etwas brachiale Methode des Abmeißelns übrig. Die bereits erwähnte Aluminiumschweißerei zeigte sich anschließend sehr kooperativ bei der Beseitigung der unvermeidbaren Spuren am Fabrikschild.

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