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© Holger Kames 2000, Letzte Aktualisierung: 25.04.2004

 Der Eisenbahnfan Holger Kames

2. Kapitel - Schulzeit

Als ich in die Schule kam, fand ich in meiner Zuckertüte auch einige Eisenbahnmodelle. Eine E 94 und vier OOt-Wagen in der Nenngröße TT waren meine ersten Fahrzeuge.

Im Laufe der Zeit kamen u.a. eine 23.10, eine 92, eine V180, eine V36 und mancher Wagen hinzu. Modellbahnbücher und -hefte wurden gekauft und natürlich auch eifrig gelesen. Vielleicht kennt jemand noch solche Titel, wie "Ins richtige Gleis mit der TT-Bahn", "TT-Praxis" oder "Das Signal". Nach und nach lernte ich Relais, Doppelspulenantriebe und Dioden kennen, und lernte auch, die mechanischen und elektrotechnischen Zusammenhänge zu begreifen. Doch auch die technischen und betrieblichen Vorgänge beim Vorbild interessierten mich sehr.

Im Jahre 1968 zogen wir in die nord-thüringische Kleinstadt Bad Frankenhausen an der Nebenbahn Bretleben-Sondershausen. Auch hier baute unser Vater die Modellbahnanlage.

Jedoch schon bald tauschten wir unser TT-Material gegen ebenfalls gebrauchte H0-Fahrzeuge, weil es seinerzeit für die Nenngröße H0 ein wesentlich besseres Angebot im Handel gab und wir eine relativ geräumige Wohnung hatten. Allerdings bedurften die ertauschten Fahrzeuge dringend eines Aufenthaltes im Ausbesserungswerk. Eher unfreiwillig wurde ich somit zum Fahrzeugbastler und habe gewiß auch manches Lehrgeld bezahlt. Dennoch wurde vieles erfolgreich verfeinert, manches wurde auch um- und selbstgebaut. Im Laufe der Jahre sammelte ich über 70 Loks und Triebwagen sowie ca. 250 Wagen.

Das mag, gemessen an richtigen Sammlern (z.B. mein Onkel rechts im Bild; in der Mitte mein Bruder) recht bescheiden sein. Allerdings verlagerten sich meine Interessen im Lauf der Jahre mehr auf das Vorbild, die Familie und viele andere Dinge. Außerdem verbietet mir auch die irrsinnige Entwicklung der Preise, meine Sammlung noch wesentlich zu erweitern.

1972 kletterte ich das allererste Mal auf eine Lokomotive. Es war die 110 454-6. Ich ahnte damals noch nicht, daß ich in meinem Leben noch sehr, sehr oft die Leiter einer Lokomotive erklimmen würde. Und das begann so: Mitte der siebziger Jahre fuhr nachmittags ein Güterzug mit Personenbeförderung (GmP), gezogen von einer Lok der Baureihe 86 nach Bad Frankenhausen. Die wenigen mitgebrachten Güterwagen wurden meistens an die Ladestraße rangiert und manchmal wurde der Anschluß einer GHG bedient. Ein ebenfalls eisenbahnbegeisterter Schulkamerad und ich faßten uns ein Herz und wir fragten, ob "wir mal auf den Führerstand dürfen...". Die freundlichen Eisenbahner beantworteten geduldig unsere Fragen und erklärten alles, was wir wissen wollten. Pünktlich - und zwischendurch auch bei anderen Personalen - fanden auch wir uns jedes Mal wieder ein. Meistens durften wir beim Rangieren auf der Lok mitfahren. Später dann durften wir sogar bis zum nächsten Bahnhof mitfahren und an den Bahnübergängen pfeifen. Ich glaube, wir haben fast mehr Dampf zum Pfeifen gebraucht, als die beiden zum Fahren! Ein Lokführer wurde so etwas wie mein "dritter Großvater". Wir besuchten einander und lernten unsere Familien kennen.

Ich bekam das Buch "Die Dampflokomotive" zum Lesen und eignete mir systematisch Dampflokkenntnisse an. Eines Tages sollte in Bad Frankenhausen wieder einmal mit dem Zug von Gleis 1 nach Gleis 2 umgesetzt werden. "Na, mach Du mal", sagte mein "Großvater". Mir wurde heiß und kalt! Ich drehte die Steuerung nach vorne, löste die Zusatzbremse und faßte den noch handwarmen Reglerhebel. So kam es, daß ich als fünfzehnjähriger das erste Mal eine Dampflok bewegte. Na ja, eigentlich fuhr die Lok mit mir, und nicht ich mit ihr! Aber beim Anhalten klappte es sogar mit dem Wasserkran. Anfängerglück! Spätestens jetzt war klar, daß ich zur Eisenbahn wollte. Dampflokführer zu werden, wurde mein Traum, auch wenn die Zeichen dafür wegen des weit fortgeschrittenen Traktionswandels nicht gerade günstig standen. Zwei weitere Dinge wurden noch so etwas wie mein Traum: Eine eigene Dampflokomotive zu besitzen, und damit mal auf große Tour gehen. "Totaler Spinner" lautete damals das vernichtende Urteil der meisten Mitschüler. Als Fünfzehnjähriger hatte man Mitte der 70er Jahre gefälligst andere Dinge "chic" zu finden!

Wegen Bauarbeiten konnten die Züge zeitweise nicht bis Nordhausen durchfahren und die Dampfloks folglich dort nicht restaurieren. Deshalb wurde "unser Zug" für einige Wochen mit Loks der BR 110 gefahren, was uns aber nicht hinderte, auch deren Lokführer "Löcher in den Bauch" zu fragen. Auch unter den Dieselkollegen gab es einen, der uns ab und zu bis zum Nachbarort mitfahren ließ. Bei einer solchen Fahrt - wir hatten unseren Bahnhof gerade verlassen - sagte der Lokführer zu mir: "Na, dann setz´ Dich mal hin und mach weiter". Ganz wohl war mir dabei zwar nicht, aber solch eine Gelegenheit konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen! Das Bremsen am Hp Rottleben überließ ich dann aber wieder dem Profi... Diese Art von Berufswerbung war zwar alles andere als legal, dafür aber um so wirkungsvoller!

Ich war in der achten Klasse, als eines Mittwochs in unserer Kreisstadt Artern der "Berufswerbungszug der Rbd Erfurt" Station machte. An diesem Nachmittag fand allerdings auch die unbeliebte FDJ-Versammlung statt. Die Entscheidung fiel nicht schwer: Selbstverständlich fuhr ich mit meiner Mutter nach Artern! Im Berufswerbungszug herrschte gähnende Leere. Wer wollte denn schon zur Reichsbahn? Ein vielzitierter Slogan lautete damals: "Hast du einen dummen Sohn, schicke ihn zur Bau-Union; ist er noch viel dümmer, die Reichsbahn nimmt ihn immer". Nun war ich so dumm eigentlich nicht; und das hat wohl auch der Betreuer des Zuges, ein einarmiger Eisenbahnveteran gemerkt. Ein großes Modell einer P8, dessen Räder und Triebwerk durch einen Elektromotor bewegt werden konnten, faszinierte mich. Der ältere Herr fragte mich sämtliche Stangen und andere Einzelheiten der Lok ab. Als er dann meinen Berufswunsch und meinen Zensurendurchschnitt erfuhr, eilte er flugs ans nächste BASA-Telefon. Danach erklärte er mir, daß ich soeben eine Lehrstelle als Fahrzeugschlosser mit Abitur bekommen hätte. Die spätere Bewerbung war also nur noch Formsache. Am nächsten Tag inszenierte meine Klassenlehrerin ein mittleres Donnerwetter bezüglich meiner schlechten Einstellung zum Sozialismus, weil ich nicht zur FDJ-Versammlung erschienen war. Ich schlug sie mit ihren eigenen Waffen und referierte unter dem Grinsen meiner Klassenkameraden irgendeinen Blödsinn über das Thema "Mein Beitrag zur Stärkung des sozialistischen Verkehrswesens". Was konnte sie da noch sagen?

Etwa ein Jahr später habe ich dann alle "meine" 86er wiedergesehen. Als Schrottzug auf dem Bf Riestedt! Da standen unter anderem die 86 1243, 86 1389, 86 1776, 86 1760, 86 1622. Ich glaube, jeder kann verstehen, wie mir da zumute war...

Während der Sommerferien besuchte ich oft Verwandte in Staßfurt. Mein Quartier in einer Dachkammer kühlte auch nachts nicht besonders ab, an Schlafen war kaum zu denken. Durch das geöffnete Fensterchen drangen die Geräusche vom nahen Bahnhof, das Singen der Räder, das Knarren der Hemmschuhe, das Poltern der aneinanderstoßenden Wagen und das Pfeifen der Dampflokomotiven. "Ganz weit draußen" gab es eine Einsatzstelle. Klar, daß ich mich dort herumtrieb. Schon damals waren die Lokleiter so freundlich, Besucher auf das Gelände zu lassen; verbunden mit dem Hinweis, möglichst nicht in die Arbeitsgruben zu fallen. Auf einem Abstellgleis standen einige ausgemusterte Kohle-44er herum und harrten dahinrostend ihrem Schicksal. Zerschlagene Scheiben, tote Fensterhöhlen, zerfledderte Segeltuchvorhänge, der kalte Geruch von altem Öl, Reste von Putzwolle, eine verbeulte Ölkanne, abgebaute Stangen auf Führerständen und Umläufen, fehlende Teile... das waren Eindrücke, die sich mir boten.

Auch heute noch vermitteln mir ähnliche Bilder immer noch ein beklemmendes Gefühl. Bei einer Lok ließen sich Steuerung und Regler noch bewegen. Ich hantierte daran herum, wie ein Alter und wähnte mich auf großer Fahrt... Auch diese Loks sah ich wieder: Als Schrottzug am Haken einer Taigatrommmel auf dem Weg nach Brandenburg. Auch da war es wieder: Das Gefühl, ein bißchen selbst zu sterben...

Wer kann es verstehen? Eine Dampflok ist nicht einfach nur eine Maschine! Ist sie nicht fast wie ein Lebewesen, das man verstehen lernen muß? Belohnt sie deine Sorgsamkeit nicht durch Treue und Zuverlässigkeit? Geht sie nicht mit dir durch dick und dünn? Ist sie nicht manchmal beleidigt, wo du es vielleicht gar nicht vermutest, und verzeiht sie dir nicht auch manche Ungeschicklichkeit? Ganz so, wie ein guter Kamerad...?

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